In Deutschland ist das Vergaberecht auf Bundes- oder Länderebene geregelt, z.B. durch das TVgG in NRW. Der Rechtsrahmen für die öffentliche Beschaffung bietet Möglichkeit zur Verankerung von sozialen und ökologischen Kriterien. Eine faire Beschaffung ist möglich.

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Der rechtliche Rahmen

Faire Beschaffung im Detail

Bei der öffentlichen Beschaffung geht es um Milliardenbeträge: Allein in Deutschland werden Schätzungen zufolge jährlich Dienstleistungen und Güter im Wert von mehreren hundert Milliarden Euro beschafft. Mit ihrer Marktmacht können öffentliche Stellen direkt dazu beitragen, die Arbeitsbedingungen entlang der Lieferketten zu verbessern. Es lohnt sich also, Handlungsspielräume für eine sozial und ökologisch gerechte Einkaufspraxis wahrzunehmen.

Grundsätzlich funktioniert der öffentliche Einkauf anders als für private Konsument*innen. Vorab muss genau definiert werden, was gebraucht wird und wie der Auftrag später ausgeführt werden soll. Nur bei kleinen Beträgen dürfen sog. Direktkäufe getätigt werden. In der Regel müssen Anschaffungen öffentlich ausgeschrieben werden, woraufhin Unternehmen Angebote abgeben dürfen. Diese werden nach vorab definierten Kriterien verglichen und der Auftrag erteilt.

Der Rechtsrahmen für die öffentliche Beschaffung basiert auf internationalen Abkommen und europäischen Richtlinien. In Deutschland ist das Vergaberecht je nach Auftragsvolumen auf Bundes- oder Länderebene geregelt. Ergänzend finden Sie zu den Gesetzestexten Stellungnahmen durch das Eine Welt Netz NRW und weitere Nichtregierungsorganisationen und Netzwerke.

Einen Leitfaden über die Möglichkeiten einer nachhaltigen öffentlichen Beschaffung von IT-Hardware von Rechtsanwalt André Siedenberg finden Sie hier.

Spielräume für FAIRgabe in Bund und Ländern

Gesetze von Bund und Ländern regeln, wie Vergabeverfahren konkret gestaltet werden. Öko-soziale Kriterien dürfen in fast allen Stadien dieser Verfahren verankert werden. Je nach Bundesland kann die Einhaltung bestimmter Kriterien bereits verpflichtend sein. Der Gesetzgeber erlaubt darüber hinausgehend bestimmte freiwillige Maßnahmen. Dies sind für öffentliche Auftraggeber wertvolle Spielräume zur Umsetzung einer nachhaltigen Einkaufspraxis. 

Statistiken über den öffentlichen Einkauf gibt es bislang nicht. Niemand weiß im Detail, welche Produkte unter welchen Bedingungen hergestellt und in welchem Umfang einkauft werden. Mit der Vergaberechtsnovelle 2016 auf Bundesebene werden Auftraggeber*innen verpflichtet, auftragsbezogene Daten zumindest zu der erworbenen Leistung und dem Auftragsvolumen an eine statistikführende Stelle zu übermitteln. Wünschenswert wäre, wenn solche Berichte auch für Bürger*innen und Zivilgesellschaft transparent wären und darlegen, welche Kriterien berücksichtigt und welche Nachweise erbracht wurden.

Vergaberecht in NRW

Mit der aktuellen Fassung des Tariftreue- und Vergabegesetz NRW (TVgG NRW) vom März 2018 können die kommunalen Vergabestellen freiwillig Nachweise und Zertifikate zu sozialen und ökologischen Standards einfordern. Damit besteht die Möglichkeit im Vergabeverfahren konkret und wirkungsvoll soziale Aspekte und den Schutz der Umwelt zu verankern. Der Freiraum, ökologische sowie menschen- und arbeitsrechtliche Kriterien bei der öffentlichen Vergabe zu berücksichtigen, ist durch das Gesetz gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) und die Unterschwellenvergabeverordnung (UVgO) auf Bundesebene geregelt. 

Download der Pressemitteilung zur Novellierung des TVgG (Bündnis öko-soziale Beschaffung NRW, März 2018)

Deutsches Vergaberecht

In Deutschland ist das Vergaberecht maßgeblich im vierten Teil des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) verankert. Vergabeverordnungen regeln Vergabeverfahren für Dienstleistungen und Güter im Detail, insbesondere wenn das Einkaufsvolumen oberhalb bestimmter Schwellenwerte liegt.

Unterhalb bestimmter Einkaufswerte (sog. Unterschwellenbereich) gilt in jedem Bundesland ein eigenes Vergabegesetz. Das deutsche Vergaberecht setzt den Ländern bestimmte Grenzen und Spielräume für dessen Gestaltung. Bewerben dürfen sich auf solche Verfahren Unternehmen aus ganz Deutschland. Ein Großteil der Beschaffungsvorgänge in Deutschland und Europa sind Einkäufe im Unterschwellenbereich.

Oberhalb dieser Grenzwerte (sog. Oberschwellenbereich) müssen Beschaffungsstellen auf europäischer Ebene ausschreiben, d.h. Bieter aus der gesamten EU dürfen Angebote abgeben. Zur Harmonisierung der nationalen Gesetzgebungen verpflichten europäische Richtlinien die Mitgliedsstaaten zur Überarbeitung ihres Vergaberechts.

Mit der Vergaberechtsnovelle 2016 erfolgte die Umsetzung der sog. klassischen EU-Vergaberichtlinie von 2014 in deutsches Recht. Dafür war in Deutschland das Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (BMWI) zuständig. Mit der Vergabestatistikverordnung wurde erstmals eine Meldepflicht zur statistischen Erfassung von Vergaben ab 25.000 Euro eingeführt. Spielräume der EU für eine Stärkung sozial und ökologisch verantwortlicher Beschaffung wurden von der Bundesregierung jedoch nur ungenügend genutzt. 

Link zu Gesetzestexten und Vergabeverordnungen (Übersicht der Landesregierung NRW).

Download der Stellungnahme zum Referentenentwurf des BMWi des Gesetzes zur Modernisierung des Vergaberechts (CorA, Mai 2015).

Download des Positionspapieres zur Umsetzung der EU-Vergaberichtlinie in deutsches Recht (CorA, Nov. 2014).

Europäische Vergaberichtlinie

Die EU setzte im März 2014 die neue klassische Vergaberichtlinie (2014/24/EU, 2014/25/EU und 2014/23/EU) in Kraft. Sie ersetzt die alten Richtlinien (2004/17/EG, 2004/18/EG).

Der europäische Gesetzgeber erklärt damit die Einhaltung umwelt-, sozial- und arbeitsrechtlicher Verpflichtungen zu einem allgemeinen Vergabegrundsatz. Ökologische und soziale Kriterien werden in der Richtlinie als gleichwertig zu weiteren Vergabegrundsätzen betrachtet. Damit wird die Berücksichtigung sozialer Kriterien wie der ILO-Kernarbeitsnormen oder der Kriterien des Fairen Handels bei der öffentlichen Beschaffung erheblich aufgewertet. Nach der neuen EU-Richtlinie gilt z.B. nicht mehr allein die materielle Beschaffenheit eines Produktes als Produkteigenschaft. Während nicht-stoffliche Merkmale wie der Produktionsprozess in der Vergangenheit als "vergabefremd" galten, werden diese nun explizit berücksichtigt. Damit können Kaufentscheidungen öffentlicher Einrichtungen auch unter Berücksichtigung der Herstellungs- und Verarbeitungsverfahren getroffen werden, selbst wenn diese im Endprodukt nicht mehr erkennbar sind.

Die Vorgängerinnen der klassischen EU-Vergaberichtlinie 2014 waren die Richtlinien 2004. An ihnen wurde in einem Bericht der Europäischen Kommission bemängelt, dass durch die unflexiblen und starren Regeln, die Umsetzung der ökologischen und sozialen Kriterien kaum verfolgt würde.

Link zu EU-Vergaberichtlinien (Übersicht durch die Landesregierung NRW).

Öko-soziale Kriterien sind Grundsätze der Vergabe

Internationale Verträge und Abkommen betonen die Verantwortung von Staaten, über die öffentliche Beschaffung auf nachhaltigere Produktionsweisen hinzuwirken. Die neue EU-Vergaberichtlinie hat die Rolle öko-sozialer Faktoren dabei erheblich aufgewertet.

Kriterien zum Schutz von Umwelt, Arbeits- und Menschenrechten bei der Herstellung von Produkten gelten somit mittlerweile als explizite Grundsätze der öffentlichen Vergabe. Sie müssen ebenso befolgt werden wie die Grundsätze zur Transparenz, Nichtdiskriminierung und Verhältnismäßikeit. Eine weitere zentrale Vorgabe für öffentliche Stellen ist es, "wirtschaftlich" einzukaufen, also mit Steuergeldern langfristig sparsam zu haushalten. Grundsätzlich macht das Sinn, dies darf jedoch nicht mit einem billigen Preis verwechselt werden: Wer die Lebenszykluskosten eines Produkts, d.h. Kosten der Benutzung und Entsorgung, nicht adäquat berücksichtigt, wird dem Prinzip der Wirtschaftlichkeit nicht gerecht.

Internationale Menschen- und Arbeitsrechte

Internationale Konventionen und Normen des Völkerrechts betonen die Verantwortung von Staaten und Unternehmen, Menschenrechte einzuhalten bzw. zu schützen. Auch die öffentliche Beschaffung ist hiervon nicht ausgeschlossen.

UN Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte wurde 1948 von der Generalversammlung der Vereinten Nationen verabschiedet. In den Artikeln 23 ist u.a. das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen, eine gerechte Entlohnung und das Recht, Gewerkschaften zu bilden, festgehalten. Artikel 24 beinhaltet das Recht auf Erholung und Freizeit. Die Menschenrechtserklärung ist zwar kein völkerrechtlich verbindlicher Vertrag, hat jedoch politischen Einfluss.

Link zur Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte.

UN Zivil- und Sozialpakt, Kinderrechtskonvention

Der internationale Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte (Zivilpakt) und der internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (Sozialpakt) sowie die Kinderrechtskonvention haben bei Ratifizierung hingegen bindende Wirkung für die jeweiligen Staaten. Artikel 7 und 8 des Sozialpaktes definieren das Recht auf gerechte Arbeitsbedingungen, einen angemessenen Lohn und die Bildung von Gewerkschaften. Deutschland hat die drei Abkommen ratifiziert und ist dadurch zu einer Umsetzung verplichtet. Die rechtliche Bindung gilt für alle staatlichen Akteure. Das schließt somit auch Stadt- und Gemeindeverwaltungen ein. Eine faire Vergabe ist ein wichtiger Schritt, dieser Verplichtung nachzukommen.

Link zu Informationen und Vertragstexten des Zivilpakts.

Link zu Informationen und Vertragstexten des Sozialpakts.

Link zu Informationen und Text der Kinderrechtskonvention.

UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte

2011 verabschiedete der UN-Menschenrechtsrat die UN-Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte. Sie reagieren auf Veränderungen im Zuge der Globalisierung. Diese haben dazu geführt, dass Unternehmen Menschenrechtsverletzungen begehen können, ohne mit Sanktionen rechnen zu müssen. Die Leitlinien beruhen auf drei Säulen: der staatlichen Pflicht zum Schutz der Menschenrechte (Protect), der Verantwortung der Unternehmen zur Achtung der Menschenrechte (Respect) und der Durchsetzung und Wiedergutmachung (Remedy). Aus der staatlichen Schutzpflicht kann für die öffentliche Beschaffung das Einhalten sozialer Kriterien hergeleitet werden. Die deutsche Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, die Leitprinzipien mit dem Nationalen Aktionsplan für Wirtschaft und Menschenrechten 2016 zu verabschieden.

Link zu Informationen von CorA zu den UN-Leitprinzipien.

Link zu aktuellen Infos zum Nationalen Aktionsplan.

ILO- Kernarbeitsnormen

Die Internationale Arbeitsorganisation (ILO) ist eine Sonderorganisation der Vereinten Nationen. Sie setzt sich aus drei Interessensgruppen zusammen: Regierungen, Arbeiternehmerverbände und Gewerkschaften. 188 Konventionen wurden 1998 von der iLO verabschiedet. Acht dieser Konventionen bilden die Kernarbeitsnormen:

  • Übereinkommen 87: Vereinigungsfreiheit und Schutz des Vereinigungsrechts
  • Übereinkommen 98: Vereinigungsrecht und Recht zu Kollektivverhandlungen
  • Übereinkommen 29: Beseitigung Zwangsarbeit
  • Übereinkommen 105: Abschaffung der Zwangsarbeit
  • Übereinkommen 100: Gleichheit des Entgelts
  • Übereinkommen 111: Diskriminierung (Beschäftigung und Beruf)
  • Übereinkommen 138: Mindestalter
  • Übereinkommen 182: Verbot und unverzügliche Maßnahmen zur Beseitigung der schlimmsten Formen der Kinderarbeit

Link zur Website ILO

Sustainable Development Goals- SDGs

Im September 2015 verabschiedeten die Vereinten Nationen die Agenda 2030. Diese Agenda beinhaltet 17 globale Entwicklungsziele. Ziel zwölf fordert die Sicherstellung nachhaltiger Konsum- und Produktionsmuster. Im Unterpunkt 12.7 heißt es, dass es in der öffentlichen Beschaffung nachhaltige Verfahren gefördert werden sollen, im Einklang mit den nationalen Politiken und Prioritäten. 

Damit erkennt die internationale Staatengemeinschaft an, dass der öffentliche Einkauf Verantwortung für eine global gerechte Entwicklung trägt. Nachhaltige Vergabeverfahren werden explizit als wichtiges Instrument genannt, um das zu erreichen. 

Link zum Thema Globale Entwicklungsziele

Eine Welt Netz NRW @ 2024
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